Behavioral Finance, auch unter dem Namen Verhaltensökonomie bekannt, zählt zweifellos zu den faszinierendsten und gleichzeitig komplexesten Forschungsbereichen in der Welt der Finanzen. Die Bedeutung dieser Disziplin erstreckt sich über das simple Verständnis hinaus, warum individuelle Investoren mitunter Entscheidungen treffen, die ihren eigenen finanziellen Interessen zuwiderlaufen.
Vielmehr durchleuchtet sie das Herzstück menschlichen Verhaltens in finanziellen Angelegenheiten und stellt somit eine Brücke zwischen Psychologie und Ökonomie dar. Dieser Leitfaden beabsichtigt, das Fundament der Verhaltensökonomie zu vertiefen, ihre Relevanz in der heutigen Finanzwelt hervorzuheben und den Einsatz dieses Wissens zur Verbesserung von Investitionsentscheidungen zu beleuchten.
Die Fundamente der Verhaltensökonomie
Die Verhaltensökonomie, in ihrer Grundessenz, ist eine interdisziplinäre Forschungsrichtung, die explizit die psychologischen Einflüsse auf das finanzielle Verhalten von Individuen analysiert. In ihrem Kern postuliert sie, dass rationale Entscheidungsfindung nicht immer der gängige „Modus Operandi“ von Investoren ist und dass emotionale Faktoren, Vorurteile sowie Irrationalitäten entscheidenden Einfluss auf Finanzentscheidungen haben.
Die Faszination der Verhaltensökonomie liegt in ihrer Fähigkeit, die tief verwurzelten Anomalien menschlichen Handelns auf den Finanzmärkten zu erklären und diese Erklärungen in kohärente Modelle zu gießen. In ihrer schlichten Formel beabsichtigt die Verhaltensökonomie, den Vorhang zu lüften und aufzuzeigen, weshalb Individuen in bestimmten Situationen finanzielle Entscheidungen treffen, die ihrem eigenen Wohl zuwiderlaufen.
Die Relevanz der Verhaltensökonomie
Die Wichtigkeit der Verhaltensökonomie ist vielschichtig und reicht über die individuelle Ebene hinaus. Zunächst einmal ermöglicht sie eine tiefere Selbstreflexion und vermittelt ein besseres Verständnis des eigenen finanziellen Verhaltens. Dieses Bewusstsein wiederum bildet die Grundlage für eine fundiertere Entscheidungsfindung und die Verbesserung von Investitionsstrategien. Durch das Erkennen und Annehmen der eigenen psychologischen Prägungen und Verzerrungen sind Investoren besser gerüstet, um rationale und gut durchdachte Entscheidungen zu treffen.
Des Weiteren fungiert die Verhaltensökonomie als eine prägnante Kritikerin traditioneller Finanztheorien. Viele dieser Theorien gehen von der Annahme aus, dass Investoren stets rational und gewissenhaft handeln, eine Vorstellung, die jedoch häufig der Realität nicht standhält. Das tiefergehende Verständnis psychologischer Einflüsse auf finanzielle Entscheidungen liefert ein entscheidendes Instrument zur Verfeinerung dieser Theorien und zur Schaffung realistischerer Modelle der Finanzmärkte.
Das Funktionsprinzip
Das Gesamtkonstrukt der Verhaltensökonomie stützt sich auf eine Reihe von Schlüsselkonzepten, die unerlässlich sind, um die irrationalen Entscheidungen und Verhaltensweisen auf den Finanzmärkten zu ergründen. Hierzu zählen die folgenden Elemente:
• Heuristik
Diese kognitiven Abkürzungen oder Regeln dienen Individuen als Werkzeuge zur Entscheidungsfindung. Sie sind in vielerlei Hinsicht hilfreich, führen jedoch oft zu systematischen Fehlern, da sie Entscheidungen auf Basis von Erfahrungen und Gewohnheiten beeinflussen.
• Framing
Der Begriff Framing bezieht sich auf die Art und Weise, wie Informationen präsentiert werden. Die Darstellung einer Entscheidungssituation kann signifikanten Einfluss auf die getroffene Entscheidung ausüben, abhängig von der gewählten Perspektive und Präsentation.
• Marktstimmung
Diese umfasst die allgemeine Haltung und Gefühlslage der Investoren in Bezug auf den Markt. Marktstimmungen sind oft irrational und können zu erheblichen Marktexzessen in Form von Blasen oder Einbrüchen führen.
• Kognitive Verzerrungen
Dies sind systematische Denkfehler, die das Urteilsvermögen und die Entscheidungsfindung beeinflussen. Beispiele hierfür sind Über- und Unterreaktionen, Bestätigungsfehler und die Verfügbarkeitsheuristik.
Behavioral Finance in realen Szenarien
Nun mag man sich an dieser Stelle die berechtigte Frage, wie sich die Erkenntnisse des Behavioral Finance in der Praxis darstellen beziehungsweise darstellen können. Lassen sie uns an dieser Stelle in ein paar praktische Anwendungen betrachten:
Marktblasen
Behavioral Finance trägt dazu bei, die Entstehung und das Platzen von Marktblasen zu erläutern. Die Dotcom-Blase und die Immobilienblase dienen als aufschlussreiche Beispiele dafür, wie irrationale Euphorie zu gravierenden Markteinbrüchen führen kann.
Panikverkäufe und FOMO
In Zeiten der Markvolatilität können Panikverkäufe und die Angst, etwas zu verpassen (FOMO), dazu führen, dass Investoren von ihrer langfristigen Anlagestrategie abweichen. Behavioral Finance bietet Einblicke in die Entstehung dieser Phänomene und Möglichkeiten zur Reduzierung ihrer Auswirkungen.
Anwendung der Verhaltensökonomie zur Optimierung von Investitionsentscheidungen
Die Verhaltensökonomie bietet eine wertvolle Blaupause für Investoren, um bessere Entscheidungen zu treffen und ihre finanzielle Gesundheit zu fördern. Hierbei sind folgende Schritte zu berücksichtigen:
1. Erkennen eigener Verzerrungen
Der erste und grundlegendste Schritt zur effektiven Anwendung der Verhaltensökonomie besteht darin, die eigenen kognitiven Verzerrungen zu identifizieren. Hierzu gehört das Bewusstsein über eine Neigung zu übermäßigem Optimismus oder Pessimismus, das Ignorieren widersprechender Informationen und das Aufdecken persönlicher Vorurteile.
2. Entwicklung einer disziplinierten Investitionsstrategie
Eine der wirksamsten Methoden zur Überwindung kognitiver Verzerrungen ist die Schaffung einer disziplinierten Investitionsstrategie und die konsequente Einhaltung derselben. Dies kann beispielsweise bedeuten, regelmäßig in ein diversifiziertes Portfolio zu investieren, ungeachtet der aktuellen Marktbedingungen.
3. Suche nach objektiven Ratschlägen
Um den Einfluss kognitiver Verzerrungen zu minimieren, ist es ratsam, nach objektiven Ratschlägen zu suchen. Dies kann die Inanspruchnahme eines professionellen Finanzberaters oder das Studium unabhängiger Finanznachrichten und -Analysen einschließen.
Welche Rolle hier Finanzberatern zukommt
Gerade den, im letzten Abschnitt genannten Finanzberatern kommt unter dem Aspekt der Verhaltensökonomie eine besondere Rolle zu. Denn die Verbindung zwischen Behavioral Finance und Finanzberatung spielt eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung von Anlegern, um die menschlichen Tendenzen und Verhaltensweisen zu bewältigen, die in der Welt der Finanzen weit verbreitet sind.
Finanzberater fungieren dabei als Vermittler zwischen den Prinzipien der Behavioral Finance und den individuellen finanziellen Zielen und Bedürfnissen ihrer Kunden. In einer Welt, in der die emotionale und psychologische Komponente des Anlegerverhaltens von großer Relevanz ist, sind Finanzberater diejenigen, die Anleger auf dem Weg zu einer rationaleren und besser informierten Entscheidungsfindung führen können.
Ihre Aufgabe ist es, die Prinzipien der Behavioral Finance auf die individuellen Situationen ihrer Kunden anzuwenden und Lösungen zu erarbeiten, die auf den jeweiligen psychologischen und finanziellen Bedürfnissen basieren. Und damit kommen wir zu einem wieder, auch öffentlich diskutiertem Punkt, und zwar dem ethischen Verhalten in der Finanz- beziehungsweise Anlageberatung.
Die Rolle der Ethik in der Finanz- und Investmentberatung
Die ethischen Aspekte der Finanzberatung im Kontext von Behavioral Finance sollten keinesfalls unterschätzt werden. Gerade Finanzberater tragen eine hohe Verantwortung, da sie das Vertrauen ihrer Kunden genießen und auf sensible finanzielle Informationen zugreifen. Umso bedeutender ist es, dass sie in ihrer finanziell beratenden Tätigkeit ethische Standards einhalten und im besten Interesse ihrer Kunden handeln. Dies schließt die Pflicht ein, Kunden vor unethischem Verhalten zu schützen und sicherzustellen, dass die Empfehlungen und Ratschläge im Einklang mit den finanziellen Zielen und Bedürfnissen der Kunden stehen.
Behavioral Finance – Zusammenfassung und Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Behavioral Finance ein unerlässliches Forschungsfeld ist, um die Feinheiten finanzieller Entscheidungsfindung zu ergründen. Es erkennt die Unvollkommenheiten im menschlichen Verhalten und ihren tiefgreifenden Einfluss auf Anlageentscheidungen. Investoren, die die Prinzipien des Behavioral Finance erfassen, sind in der Lage, sachlich fundierte Entscheidungen zu treffen, die die Auswirkungen kognitiver Verzerrungen verringern und schlussendlich in einem deutlichen Investment-Erlebnis enden können.
Es handelt sich um ein sich entwickelndes Gebiet von wachsender Relevanz in der sich ständig verändernden Welt der Finanzmärkte, und seine Bedeutung für Anleger ist keinesfalls zu unterschätzen. Durch die Anerkennung der Rolle der Psychologie in der Finanzwelt können Investoren hoffen, die Herausforderungen des Marktes mit mehr Weisheit und Erfolg zu meistern.
Prokurist und Leiter Portfoliomanagement, Wirtschaftsinformatiker (EBS), über 25 Jahre Erfahrung als Händler (Eurex-, Xetra- und NASD-Lizenz) und Portfolio- und Fondsmanager u.a. für Absolute-Return-Produkte bei Investmentboutiquen. Seit 2009 bei der FiNet Asset Management GmbH in Marburg als Fonds- und Portfoliomanager tätig.
Frank Huttel ist spezialisiert u.a. auf Produktentwicklung und der Fondsauswahl und hat fundiertes Know-how im klassischen sowie alternativen Asset-Management. Seit 2019 ist er SRI-Advisor (EBS) und Climate Reality Leader (2018). Außerdem ist er Mitinitiator von vividam, dem nachhaltigen Robo-Advisor.