Seit ein paar Tagen geistert mal wieder ein Wort durch die Investment-Welt, das so manch einen Verfechter von Nachhaltigkeit und entsprechenden Geldanlagen erschaudern lässt – Atomkraft. Dabei konnte man doch eigentlich davon ausgehen, dass ausgerechnet die Atomkraft in den politischen Bemühungen, die Welt nachhaltiger zu gestalten, keine Rolle mehr spielen wird. Weit gefehlt, wie man jetzt wohl doch mit einem gewissen Schrecken feststellen muss – zumindest mal für den Moment.
Dabei fing das mit dem Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit durch aus gut an. Denn das erklärte Ziel der Politik war es Geldströme in „gute“ Kanäle fließen zu lassen. Heisst hin zu umweltfreundlicher Energie-Generierung und Nutzung.
Sicherlich: Nur eins von vielen Zielen, dass sich die Europäische Union und ihre politischen Vertreter auf die Fahnen geschrieben haben, aber wohl auch eins der bedeutendsten. Alles in allem endend in entsprechenden Vorgaben für grüne und dunkelgrüne Finanzprodukte – genannt „Taxonomie“. Und nun? Die EU-Kommission hat den, für viele Menschen, kaum nachvollziehbaren Vorstoß unternommen, Atomkraft als nachhaltige Energiequelle zu klassifizieren.
Kein Wunder, dass gerade die Vertreter der Investment-Branche und hier im Besonderen jene Anbieter, die massiv das Thema „nachhaltige Geldanlagen“ forcieren mit einem Höchstmaß an Unmut auf den Vorstoß der EU-Kommission reagieren. Was durchaus nachvollziehbar ist, denn nach Jahren der Ablehnung und daraus resultierenden Protesten gegen jene Atomkraft nun der Sinneswandel? Hin zu „so schlimm ist Atomkraft nun doch nicht?“
Stoppt „grüne“ Atomkraft den Trend bei nachhaltigen Geldanlagen?
Nachvollziehbarer Unmut und Unverständnis gerade auch im Hinblick auf die Entwicklung nachhaltiger Investment-Angebote. Denn gerade in den letzten 3 Jahren sind die Kapitalzuflüsse in entsprechend „grüne“ Angebote erheblich gestiegen. So haben sich die Mittelzuflüsse als auch die Anzahl nachhaltiger Fondsangebote allein von 2020 auf 2021 nahezu verdoppelt.
Mit dem aktuellen Vorstoß der EU könnte diesem Wachstum nun jedoch ein erheblicher Dämpfer verpasst werden. Die Sorge? Das Vertrauen in die bis dato getätigte Aussagen der Finanzbranche Investments in Atomenergie und Co zu entsagen, könnte massiv gestört werden. Vor allem dann, wenn Fondsanbieter den Argumenten der EU-Kommission hinsichtlich der Nachhaltigkeit von Atom-Energie folgen.
EU-Kommission und Pro Atom Länder „argumentieren“ sich Atomkraft „grün“
Was bei einem Blick auf die Erläuterungen der Kommission wieso und weshalb man Atom-Energie als nachhaltig bezeichnen kann, deutlich wird. Doch wenn man sich diese Argumentation einmal etwas genauer ansieht, fällt vor allem eins auf: Die EU-Kommission „dehnt“ das Verständnis von Nachhaltigkeit offensichtlich so weit, dass es eben „passt“.
Was damit gemeint ist? Ein paar Beispiele:
- Stichwort „Endlagerung“: Vorgeschlagen werden sogenannte „Tiefenlager“, die als sicher gelten und somit keinerlei Gefahr für die Zukunft darstellen würden. Der Haken an der Sache? Bis dato gibt es diese Tiefenlager nicht und niemand weiß anhand praktischer Erfahrungen, wie „sicher“ solche Lager tatsächlich sein können?
- Stichwort „CO2 Produktion“: Die Pro-Atom Länder argumentieren, dass bei der „Herstellung“ von Atomkraft kaum bis gar kein CO2 anfalle. Das mag bei den Atomkraftwerken selbst vielleicht noch zutreffen, doch was die Pro-Atom Lobby dabei (bewusst?) außer Acht lässt, ist das Thema Uran-Produktion als auch Transport des Urans. Denn hier fällt durchaus CO2 an und Nebenbei wird durch den Abbau des Urans massiver Raubbau an der Natur betrieben. Nachhaltigkeit sieht hier anders aus.
- „Neue Generation umweltfreundlicher Reaktoren“: Die Pro-Atom Fraktion verweist immer wieder darauf, dass eine neue Generation von Atomkraftwerken entwickelt werden könnte, die kleiner und effizienter sind. Und zudem deutlich weniger bis hin zu gar keinem Atommüll anfallen könnte. Der Haken an diesem Argument? Stand heute gibt es diese neue Generation von Atomkraftwerken lediglich auf dem Papier. Womit ein Beleg für die vermeintlichen Vorteile dieser neuen Generation von Atommeilern nicht existiert.
Wenn also Fondsanbieter diesen Argumenten folgen und aufgrund höherer Renditen wieder Unternehmen, die Atomenergie produzieren oder mit der Atom-Wirtschaft verbunden sind, in ihren Fonds höher gewichten, dabei aber weiter das Label „Nachhaltig“ tragen dürfen, ist das dann wirklich noch vertretbar?
Denn bereits jetzt darf an dem Nachhaltigkeits-Label so manch eines Fonds unter dem Aspekt Atom-Energie durchaus gezweifelt werden. Ein geeignetes Beispiel hierfür ist der ETF (börsengehandelte Indexfonds) MSCI EMU ESG Enhanced von iShares. In Ihm ist der spanische Energieversorger Endesa vertreten. Ein Unternehmen, das mehrere Atomkraftwerke betreibt.
10 % „Atom Regel“ der BaFin als Lösung?
Nun mag der eine oder andere, gut informierte Anleger damit argumentieren, dass laut der BaFin in einem entsprechenden Entwurf, für in Deutschland aufgelegte nachhaltige Fonds einen Anteil von maximal 10 % Atom-Energie festschreiben möchte. Das mag bei entsprechender Umsetzung für den einen oder anderen durchaus vertretbar sein, hat aber den Haken, dass dies dann nur für in Deutschland aufgelegte Fonds gelten würde. Für im Ausland aufgelegte und hierzulande vertriebene Fonds würde diese 10 % Regelung NICHT gelten.
Das Fazit? Atomkraft wird „grün“ dank Lobbyismus
Was bleibt am Ende als Erkenntnis? Schaut man sich die Länder an, die den Vorstoß der EU hinsichtlich der Deklarierung von Atomenergie als nachhaltig befürworten, fällt vor allem eins aus: Es sind in Europa vor allem jene Länder, die bis dato einen Großteil ihres Strom-Verbrauchs aus Atomkraft generieren und / oder beabsichtigen den Bau und die Inbetriebnahme von Atomkraftwerken in den nächsten Jahren forcieren zu wollen. Allen voran Frankreich, Belgien und einige osteuropäische Staaten. Und es scheint nun so, dass sich für diese Staaten jahrelange Lobby-Arbeit gelohnt hat.
Prokurist und Leiter Portfoliomanagement, Wirtschaftsinformatiker (EBS), über 25 Jahre Erfahrung als Händler (Eurex-, Xetra- und NASD-Lizenz) und Portfolio- und Fondsmanager u.a. für Absolute-Return-Produkte bei Investmentboutiquen. Seit 2009 bei der FiNet Asset Management GmbH in Marburg als Fonds- und Portfoliomanager tätig.
Frank Huttel ist spezialisiert u.a. auf Produktentwicklung und der Fondsauswahl und hat fundiertes Know-how im klassischen sowie alternativen Asset-Management. Seit 2019 ist er SRI-Advisor (EBS) und Climate Reality Leader (2018). Außerdem ist er Mitinitiator von vividam, dem nachhaltigen Robo-Advisor.