Seit 2022 unterliegen die 40 führenden börsennotierten Unternehmen Deutschlands (DAX-40) der Verpflichtung, gemäß der EU-Taxonomie-Verordnung transparent darzulegen, in welchem Umfang sie Einnahmen aus „nachhaltigen“ Wirtschaftsaktivitäten generieren und wie Investitions- sowie Betriebsausgaben in diese Bereiche fließen.
Die Klassifikation von Wirtschaftsaktivitäten als „nachhaltig“ erfolgt nach den Richtlinien des Systems der EU-Taxonomie, wobei sie als „Taxonomie-fähig“ gelten müssen. Dabei ist entscheidend, dass sie wesentlich zur Verwirklichung mindestens eines der sechs Umweltziele der EU beitragen. Gleichzeitig dürfen diese Aktivitäten keinerlei erhebliche Beeinträchtigung der Umweltziele mit sich bringen und müssen strenge soziale Mindeststandards erfüllen. Dieser regulatorische Rahmen schafft eine klare Grundlage für die Bewertung und Offenlegung nachhaltiger Praktiken, wodurch Transparenz und Verantwortlichkeit in der Geschäftsführung gewährleistet werden.
Die Einhaltung dieser Offenlegungspflichten ist somit nicht nur eine regulatorische Anforderung, sondern auch ein bedeutender Schritt in Richtung einer verantwortungsbewussten Unternehmensführung. Soweit die Theorie, doch wie sieht es damit in der Praxis aus?
EU-Taxonomie: Kerngeschäft der DAX 40 Unternehmen oftmals außen vor
Fakt ist, dass die EU-Taxonomie bislang nicht auf alle Sektoren anwendbar ist und damit nicht oder nur teilweise das Kerngeschäft vieler DAX-40-Unternehmen abdeckt. So verwundert es nicht, dass lediglich ein Drittel der DAX-40-Nicht-Finanzunternehmen für das Berichtsjahr 2022 einen Anteil von weniger als einem Prozent an Taxonomie-fähigen Umsätzen ausweisen.
Wie eingangs bereits erwähnt ist dies vor allem auf die bisherigen Taxonomie-Kriterien zurückzuführen, die primär auf Branchen ausgerichtet sind, die knapp 80 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen in Europa verursachen
Insbesondere der Energie-, Transport- und Immobiliensektor. Sektoren wie Pharma, Bio- und Medizintechnologie sowie der Handel sind bisher nicht explizit durch die EU-Taxonomie abgedeckt. Unternehmen dieser Sektoren können bislang lediglich Investitions- und Betriebsausgaben geltend machen, die mit der allgemeinen Unternehmensinfrastruktur wie Gebäuden oder Fuhrpark in Verbindung stehen. Auch die neuen Kriterien, die für das Berichtsjahr 2023 anzuwenden sind, können diese Lücke nur teilweise schließen.
Die aktuelle Taxonomie erfasst somit nur einen begrenzten Ausschnitt der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen. Um die ESG-Performance umfassend zu beurteilen, sind die Taxonomie-Daten daher im Kontext weiterer ESG-Informationen zu betrachten.
Taxonomie-Konformität bei lediglich 1 Prozent
Selbst für DAX-40-Unternehmen mit etabliertem Nachhaltigkeitsmanagement stellen die Kriterien zur Taxonomie-Konformität eine Herausforderung dar. So können zwei Drittel der DAX-40-Nicht-Finanzunternehmen für das Berichtsjahr 2022 nur Taxonomie-konforme Umsätze von weniger als einem Prozent ausweisen. Etwa die Hälfte der untersuchten Unternehmen gibt in ihrer Taxonomie-Berichterstattung an, die Kriterien für das Umweltziel „Klimaschutz“ noch nicht vollständig zu erfüllen. Dies trifft sogar auf einige Unternehmen zu, die einen von der Science Based Targets Initiative (SBTi) validierten Weg zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen verfolgen, der im Einklang mit den Zielen des Pariser Klima-Abkommens steht.
Bereitwilligkeit der Unternehmen für nachhaltige Investitionen ist zweifelsohne gegeben
Für das Geschäftsjahr 2022 berichten knapp 20 Prozent der untersuchten DAX-40-Unternehmen, mehr als 25 Prozent ihrer Investitionen Taxonomie-konform einzusetzen. Insbesondere im Energiesektor, wo die Energiewende bereits in vollem Gange ist, sind diese Investitionen besonders hoch. Die Bemühungen der EU, Investitionen in „nachhaltige“ Wirtschaftsaktivitäten zu lenken, zeigen somit erste Wirkung, wobei die EU-Taxonomie nur ein Treiber der nachhaltigen Transformation ist.
Mehr als ein Viertel der DAX-40-Unternehmen, die über ihre Taxonomie-Konformität berichten, haben einen Investitionsplan, auch als Capex-Plan bekannt, definiert. Mit diesem verpflichten sich die Unternehmen dazu, innerhalb eines festgelegten Zeitraums in den Auf- bzw. Ausbau von Geschäftstätigkeiten zu investieren, die den Anforderungen der Taxonomie entsprechen. Hierbei liegt der Fokus auf Sektoren, die von der EU-Taxonomie abgedeckt sind und sich in einer nachhaltigen Transformationsphase befinden. Die sektorübergreifende Transformationswirkung der EU-Taxonomie wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
Dringende Notwendigkeit IT-Systeme und Prozesse anzupassen
Um die kontinuierlich wachsenden Aufwände der Taxonomie-Datenerhebung zu reduzieren und die Datenqualität zu steigern, müssen viele DAX-40-Unternehmen Anpassungen an ihren Prozessen und IT-Systemen vornehmen. Häufig sind deren interne Planungssysteme (ERP) noch nicht auf die Erhebung der Taxonomie-Schlüsselkennzahlen (KPIs) vorbereitet. Ein Grund hierfür ist, dass Taxonomie-fähige und -konforme Aktivitäten im System nicht als Kostenstellen hinterlegt sind und nicht automatisch als Taxonomie relevant gekennzeichnet werden können. Daher wenden rund ein Drittel der untersuchten Unternehmen bei der Zuordnung von Investitionsausgaben zu Taxonomie-fähigen bzw. -konformen Wirtschaftsaktivitäten Verteilungsschlüssel an. Bei den Betriebsausgaben ist es sogar fast die Hälfte der Unternehmen.
Die Umrüstung und Neustrukturierung der bisher vorrangig auf Finanzströme ausgerichteten ERP-Systeme gestaltet sich jedoch als anspruchsvoll. Die EU-Taxonomie-Anforderungen sind nicht statisch, sondern entwickeln sich stetig weiter, was von 30 Prozent der DAX-40-Unternehmen in ihrer Berichterstattung als Hindernis bei der Anwendung der EU-Taxonomie bezeichnet wird.
Zusammenfassung und Fazit
Die EU-Taxonomie spielt eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Investitionen in nachhaltige Geschäftstätigkeiten. Der Erfolg dieser Bemühungen ist jedoch maßgeblich von der Ausgestaltung der EU-Taxonomie abhängig.
Somit sind zwei Schlüsselfaktoren für ihre transformative Wirkung von Bedeutung:
- Erstens muss die Anschlussfähigkeit der Taxonomie-fähigen Wirtschaftsaktivitäten an die Unternehmensmodelle gewährleistet sein.
- Zweitens ist die Entwicklung von Kriterien für die Taxonomie-Konformität entscheidend. Diese sollten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und die zentralen Hebel für eine nachhaltige Transformation definieren, ohne sich in unwesentlichen Details zu verlieren.
Die fortlaufende Weiterentwicklung der EU-Taxonomie bietet die Gelegenheit, aus praktischen Anwendungen zu lernen und diese Erkenntnisse in zukünftigen Anpassungen des Klassifikationssystems zu berücksichtigen. Dieser proaktive Ansatz ermöglicht eine dynamische Anpassung an die sich entwickelnden Anforderungen und fördert somit die Effektivität der EU-Taxonomie als Instrument zur Förderung nachhaltiger Investitionen.
Prokurist und Leiter Portfoliomanagement, Wirtschaftsinformatiker (EBS), über 25 Jahre Erfahrung als Händler (Eurex-, Xetra- und NASD-Lizenz) und Portfolio- und Fondsmanager u.a. für Absolute-Return-Produkte bei Investmentboutiquen. Seit 2009 bei der FiNet Asset Management GmbH in Marburg als Fonds- und Portfoliomanager tätig.
Frank Huttel ist spezialisiert u.a. auf Produktentwicklung und der Fondsauswahl und hat fundiertes Know-how im klassischen sowie alternativen Asset-Management. Seit 2019 ist er SRI-Advisor (EBS) und Climate Reality Leader (2018). Außerdem ist er Mitinitiator von vividam, dem nachhaltigen Robo-Advisor.