Die Europäische Union hat sich in ihrer vorbildlichen, vor allem aber notwendigen Initiative das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 eine vollständige Klimaneutralität zu erreichen. Dieses ehrgeizige Vorhaben seitens der Europäischen Union und ihren politischen Organen soll durch die strategische Implementierung des sogenannten „Green Deals“ verwirklicht werden, der als Mittel dient, um die notwendigen Investitionen zur Förderung einer nachhaltigen Transformation der Wirtschaft innerhalb Europas zu mobilisieren. Ein zentrales Instrument, um diesen Transformationsprozess voranzutreiben, besteht in der Einführung einer Ökologischen Taxonomie, die weithin als EU-Taxonomie bekannt ist.
Diese EU-Taxonomie legt Unternehmen die Verpflichtung auf, sämtliche Aspekte ihrer geschäftlichen Tätigkeiten im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit offenzulegen. Schon ab dem Finanzjahr 2021 sind börsennotierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden dazu angehalten, spezifische Berichtspflichten zu erfüllen. Doch inmitten dieser Entwicklung stellt sich jedoch die Frage nach der Bedeutung der sozialen Dimension innerhalb dieser Taxonomie.
Dies wird besonders deutlich im Kontext von Fragestellungen wie:
- Unter welchen Arbeitsbedingungen werden Technologien für erneuerbare Energien, etwa Solarpaneele oder Windkraftanlagen, hergestellt?
- Wird der Arbeitsschutz bei der energetischen Haussanierung angemessen gewährleistet?
- Gibt es möglicherweise Versuche seitens der Arbeitgeber, die Etablierung eines Betriebsrats zu verhindern?
Denn gegenwärtig spielen all diese Fragen noch keine maßgebliche Rolle bei der Klassifizierung von nachhaltigen wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb der EU-Taxonomie. Diese Lücke ist zweifelsohne als substanzielles Defizit anzusehen, womit an dieser Stelle aus Sicht einiger Experten ein dringender Handlungsbedarf besteht.
Ziel der EU-Taxonomie? Mehr Transparenz bei nachhaltigen Geldanlagen
Was an dieser Stelle durchaus verwundert, denn die EU-Taxonomie entfaltet bereits heute ihre Wirkung und erreicht so eine deutliche Steigerung der, seitens der EU-Kommission als dringend notwendig erachteten Transparenz für Investoren. So sollen wirtschaftliche Aktivitäten anhand von sechs zentralen Umweltzielen bewertet werden, um dieses vorgegeben Ziel zu erreichen. Die europäische Verordnung zur Taxonomie erhält so in Bezug auf die Erschaffung der erforderlichen Investitionsmittel für die Transformation der Wirtschaft eine bedeutende Stellung.
Eine wirtschaftliche Tätigkeit eines Unternehmens wird als nachhaltig erachtet, wenn sie einen substanziellen Beitrag zu einem der sechs Umweltziele leistet und dabei die übrigen Ziele nicht erheblich beeinträchtigt (Kriterien für „Keine erheblichen negativen Auswirkungen“). Zudem sind die Einhaltung von sozialen Mindeststandards unverzichtbar.
Die sechs Umweltziele, die Klimaschutz, die Anpassung an den Klimawandel, die nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Umweltverschmutzung sowie der Schutz von Ökosystemen und Biodiversität umfassen, werden in „delegierten Rechtsakten“ detailliert ausgeführt und auf verschiedene wirtschaftliche Aktivitäten angewandt. Parallel dazu wird ausführlich dargelegt, dass die übrigen Umweltziele durch die jeweiligen Aktivitäten nicht beeinträchtigt werden dürfen.
In einigen Bereichen zeigt die EU-Taxonomie erste Auswirkungen auf Unternehmen
Die Taxonomie zeigt bereits erste Resultate: Unternehmen, die derzeit bereits verpflichtet sind, über ihre unternehmerische soziale Verantwortung zu berichten, sind dazu angehalten, den Anteil ihres Umsatzes, ihrer Investitionen sowie ihrer Betriebsausgaben anzugeben, die den Taxonomie-Richtlinien entsprechen, und zwar für das Finanzjahr 2022.
Ab 2024 müssen ebenso Finanzinstitute eine spezifische Nachhaltigkeitskennziffer veröffentlichen: die „Green Asset Ratio“, die den Anteil ihres nachhaltigen Geschäfts gemäß der Taxonomie offenlegt. Diese Kennzahlen könnten im Laufe der Zeit für die Führung und Steuerung von Unternehmen eine zunehmend herausragende Bedeutung erlangen.
Soziale Standards haben bis dato nur geringe Relevanz
Die sozialen Standards spielen jedoch bislang bei der EU-Taxonomie eine untergeordnete Rolle. Die aktuelle europäische Verordnung fordert die Beachtung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sowie der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte. Allerdings mangelt es an konkreten technischen Standards für die präzise Umsetzung dieser Vorgaben. Des Weiteren werden lediglich „erhebliche Beeinträchtigungen“ berücksichtigt.
Zusammenfassung und Fazit
Es bleibt unklar, welche exakten Anforderungen Unternehmen erfüllen müssen. Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit wird innerhalb der Taxonomie bisher nicht ausreichend gewürdigt. Hierbei besteht dringender Handlungsbedarf seitens des europäischen Gesetzgebers. Diese Tendenz zur Abschwächung sozialer Standards ist ebenfalls in anderen Rechtsakten zu beobachten, wie zum Beispiel in den Berichtsstandards für die neuartige Nachhaltigkeitsberichterstattung. Zweifelsohne ist und kann dies nicht im Sinne einer wirklichen Nachhaltigkeit gelten.
Prokurist und Leiter Portfoliomanagement, Wirtschaftsinformatiker (EBS), über 25 Jahre Erfahrung als Händler (Eurex-, Xetra- und NASD-Lizenz) und Portfolio- und Fondsmanager u.a. für Absolute-Return-Produkte bei Investmentboutiquen. Seit 2009 bei der FiNet Asset Management GmbH in Marburg als Fonds- und Portfoliomanager tätig.
Frank Huttel ist spezialisiert u.a. auf Produktentwicklung und der Fondsauswahl und hat fundiertes Know-how im klassischen sowie alternativen Asset-Management. Seit 2019 ist er SRI-Advisor (EBS) und Climate Reality Leader (2018). Außerdem ist er Mitinitiator von vividam, dem nachhaltigen Robo-Advisor.